Warum der Tannenhäher kein optimaler gefiederter Förster ist

Der Tannenhäher ernährt sich hauptsächlich von Zirbelkiefersamen. © Staszek99. CC BY-SA 3.0.

Der Tannenhäher ernährt sich hauptsächlich von Zirbelkiefersamen. © Staszek99. CC BY-SA 3.0.

Der Tannenhäher wird auch „gefiederter Förster“ genannt, weil er die Samen der Zirbelkiefer im Boden vergräbt und dadurch zur Ausbreitung dieser Baumart beiträgt. Dabei verbreitet der Vogel die Samen der Kiefer aber nicht so effektiv, wie bisher angenommen. Denn er versteckt die Samen meist an Stellen, an denen sie nicht so gut auskeimen können: Das ist für den Tannenhäher durchaus von Vorteil, aber ein Nachteil für die Zirbelkiefer. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher, die das Verhalten des Rabenvogels über einen längeren Zeitraum beobachtet haben.

Vom Tannenhäher bearbeiteter Zirbelkieferzapfen. © Gerhard Elsner. CC BY-SA 3.0.

Vom Tannenhäher bearbeiteter Zirbelkieferzapfen. © Gerhard Elsner. CC BY-SA 3.0.

Die Zirbelkiefer (Pinus cembra) kann sich nicht selbstständig verbreiten. Denn ihre Samen sitzen in einem Zapfen fest, der sich – anders als bei den meisten anderen Nadelbäumen – nicht von alleine öffnet. Für ihre Verbreitung ist sie auf die Hilfe des Tannenhähers (Nucifraga caryocatactes) angewiesen. Der Rabenvogel ernährt sich fast ausschließlich von Zirbelkiefersamen und zieht auch seine Jungen damit auf. Mit seinem Schnabel hackt er die Zapfen auf, um an die nahrhaften Samen zu gelangen. Im Sommer und Herbst legt er Vorräte aus Zirbel- und Haselnüssen als Vorrat für den Winter an. Dazu hackt der Häher ein Loch in den Boden, das er mit aufgesprerrtem Schnabel, dem sogenannten Zirkeln, erweitert. Die so gewonnene Mulde befüllt er damm mit einem ganzen Kropf voller Zirbelnüsse, über 100 Stück, oder anderen Baumfrüchten, wie etwa bis zu 14 Haselnüssen. Anschließend deckt er das Loch wieder mit Erde zu. Jeder Tannenhäher legt Tausende solcher Futterdepots als Wintervorrat an und trägt so zur Ausbreitung der Zirbelkiefer bei.

Dank seines exzellenten Gedächtnisses findet der Vogel die Samen im Winter sogar unter Schnee wieder. © Eike Lena Neuschulz

Dank seines exzellenten Gedächtnisses
findet der Vogel die Samen im Winter
sogar unter Schnee wieder. © Eike Lena Neuschulz

„Aber er versteckt die Samen gerade da, wo sie nicht besonders gut keimen können. Während Zirbelkiefersamen feuchten Boden und viel Licht brauchen, um aufzugehen, vergräbt der Tannenhäher sie dort, wo der Boden trocken und das Kronendach relativ dicht ist“, so Eike Lena Neuschulz, Biologin am LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) und Hauptautorin der Studie. Sie hat zusammen mit einem internationalen Forscherteam das faszinierende Verhalten des Vogels monatelang beobachtet.

Eichelhäher und Tannenhäher sind die einzigen Vögel Europas, die Samen als Wintervorrat in der Erde vergraben. Sonst kennt man dieses Verhalten eher von Nagetieren wie dem Eichhörnchen. Studien haben gezeigt, dass Nagetiere Samen meist dort verstecken, wo sie vor Räubern sicher sind. Der Tannenhäher scheint die Lage seiner Vorratsspeicher jedoch nach anderen Gesichtspunkten auszuwählen.

Die Zirbelkiefer bevölkert ein schmales Verbreitungsgebiet zwischen 1.500 m und 2.500 m Höhe in den Alpen. © Eike Lena Neuschulz

Die Zirbelkiefer bevölkert ein schmales
Verbreitungsgebiet zwischen 1.500 m und
2.500 m Höhe in den Alpen. © Eike Lena Neuschulz

Aus der Sicht des Tannenhähers macht sein Verhalten durchaus Sinn, denn Samen, der nicht keimt, ist länger haltbar und steht ihm damit länger als Futter zur Verfügung. „Weil zudem die Samenproduktion der Zirbelkiefer von Jahr zu Jahr unterschiedlich ausfallen kann, müssen Tannenhäher dabei möglicherweise auf Verstecke zurückgreifen, die sie vor langem angelegt haben“, erklärt Neuschulz. Auch deswegen dürfte der Tannenhäher besonderen Wert auf Haltbarkeit legen.

Der Tannenhäher war im Alpenraum stark gefährdet, weil viele Förster glaubten, der Vogel fresse zu viele Samen der Zirbelkiefer und ihn deshalb jagten. Gerettet haben ihn unter anderem aufmerksam beobachtende Förster und umfangreiche Forschungsarbeiten aus den 1970er und 1980er Jahren. Diese stellten fest, dass der Vogel den Samen der Zirbelkiefer verbreitet und dieser Baumart durchaus nützt. Dank seines hervorragenden räumlichen Gedächtnisses findet der Tannenhäher etwa 80 % der von ihm versteckten Samen wieder. „Wenn die übrigen 20 % dann aber an Standorten vergraben sind, wo sie schlecht keimen können, dürfte der Beitrag des Tannenhähers an der Verjüngung der Bestände der Zirbelkiefer deutlich geringer sein als bisher angenommen“, resümiert Neuschulz.

Obwohl der Vogel die Samen an Orten mit ungünstigen Keimbedingungen versteckt, ist er trotzdem der primäre Samenausbreiter der Zirbelkiefer. © Eike Lena Neuschulz

Obwohl der Vogel die Samen an Orten mit
ungünstigen Keimbedingungen versteckt, ist er trotzdem
der primäre Samenausbreiter der Zirbelkiefer.
© Eike Lena Neuschulz

Sie ergänzt: „Depots anzulegen ist eine bekannte Strategie von Tieren, Zeiten geringer Futterverfügbarkeit zu überbrücken. Diese Depots werden meist gezielt an bestimmten Orten angelegt. Die Ausbreitung der Pflanzen ist für diese ein erfreulicher Nebeneffekt. Der Tannenhäher ist jedoch eines der wenigen Beispiele, bei denen tierische Samenausbreitung nicht so erfolgt, wie es für die Pflanze optimal wäre.“ Aber obwohl der Vogel die Samen an Orten mit ungünstigen Keimbedingungen versteckt ist er dennoch der wichtigste Samenausbreiter der Zirbelkiefer.

Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, 18.09.2014.

 

Publikation:
Neuschulz, Eike Lena et al.: Seed perishability determines the caching behavior of a food-hoarding bird – Journal of Animal Ecology, DOI: 10.1111/1365-2656.12283

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