Auch bei Pflanzen kann ein übereifriges Immunsystem tödlich sein

 Verschiedene Stämme der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) aus unterschiedlichen Regionen der Erde (obere und untere Reihe). In der mittleren Reihe sind jeweils die Hybriden der Elternpflanzen aufgereiht. © MPI f. Entwicklungsbiologie


Verschiedene Stämme der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) aus unterschiedlichen Regionen der Erde (obere und untere Reihe). In der mittleren Reihe sind jeweils die Hybriden der Elternpflanzen aufgereiht.
© MPI f. Entwicklungsbiologie

Pflanzen müssen sich permanent mit einer Vielzahl von Krankheitserregern auseinandersetzen. Um im Kampf gegen Pilze, Bakterien, Viren und andere Feinde zu bestehen, haben sie im Laufe der Evolution ein komplexes und effektives Immunsystem entwickelt. Ebenso wie beim Menschen kann dieses auch über das Ziel hinausschießen, so dass pflanzeneigene Eiweiße versehentlich als fremd eingestuft werden. Ein solcher Autoimmundefekt kann Gewebe zum Absterben bringen und das Wachstum einschränken. Er tritt besonders oft bei Hybriden auf, bei denen zwei verschiedene Immunsysteme aufeinandertreffen. Wissenschaftler haben nun die häufigsten Verursacher von Autoimmunität entdeckt. Erstaunlicherweise handelt es sich hierbei fast immer um Komponenten des eigenen Immunsystems, die fälschlicherweise von dem zweiten Repertoire an Immunrezeptoren der Hybride als Eindringlinge erkannt werden.

Ähnlich wie bei Tieren ist die Widerstandsfähigkeit bei Pflanzen auf eine Vielzahl von höchst variablen Immunrezeptoren angewiesen. „Pflanzen haben oft hunderte sogenannter NLR-Immungene. Hinzu kommt, dass in einer Population jede einzelne Pflanze ihre eigene Ausstattung an NLR-Genen hat und somit ein einzigartiges Spektrum von Mikroben, Insekten und Würmern bekämpfen kann“, erklärt Detlef Weigel vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie. Mit solch einem Arsenal kann eine Pflanze verschiedensten Erregern erfolgreich die Stirn bieten. Da jede Pflanze eines Feld über ein individuelles Erkennungsspektrum verfügt können selbst wiederholte Epidemien selten eine gesamte Population auslöschen. Die große Vielfalt kann jedoch Probleme verursachen, wenn eine Pflanze nicht mehr zuverlässig zwischen selbst und fremd unterscheiden kann und daraufhin ihre eigenen Eiweiße bekämpft. Dieses Mißgeschick kommt besonders häufig bei den Nachkommen von Hybridkreuzungen vor, bei denen zwei unterschiedliche Immunsysteme zusammentreffen.

Um die genetischen Komponenten zu untersuchen, die bei Hybriden Autoimmunität auslösen, haben die Tübinger Wissenschaftler über 6400 Kreuzungen von natürlich vorkommenden Stämmen der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana durchgeführt. Die Elternlinien stammten von unterschiedlichen Standorten auf der ganzen Welt und deckten nahezu die gesamte genetische Bandbreite der Art ab. Die Wissenschaftler untersuchten die Nachkommen der Kreuzungen dann auf Anzeichen von Autoimmunität. Bei etwa jeder fünfzigsten Kreuzung traten typische Symptome einer Autoimmunreaktion auf. In den extremsten Fällen starben die Nachkommen bereits als Keimlinge ab. Da Krankheitserreger nicht vorhanden waren, müssen pflanzeneigene Eiweiße vom Immunsystem der hybriden Pflanzen versehentlich als fremd erkannt worden sein. „Bemerkenswerterweise stammten die verantwortlichen Eiweiße fast immer von nur einer kleinen Anzahl hochvariabler Immungene, obwohl es von diesen Genen über hundert in der Pflanze gibt“, sagt Eunyoung Chae.

Wachstum und Abwehr müssen sich die Waage halten

Weigel zufolge war es überraschend, wie oft bestimmte Kombinationen von Immungenen zu einem Absterben der Pflanzen führte. Dabei sind die betroffenen Genvarianten, wenn sie einzeln vorliegen vermutlich durchaus vorteilhaft für die Pflanze: sie verleihen ihr Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheitserregern. In diesem Fall beeinträchtigen sie das Wachstum der Pflanze in keiner Weise. Erst, wenn diese Varianten in Hybridpflanzen falsch kombiniert werden können sie schädlich sein. Dennoch müssen die Vorteile, die die Varianten bei einem einzelnen Vorkommen mit sich bringen, so groß sein, dass man gleich mehrere von ihnen auf einem Feld finden kann.

Die Forscher vermuten, dass die von ihnen beobachteten Fälle von Autoimmunreaktionen bei Hybriden nur die Spitze des Eisbergs darstellen. „Da wir strenge Kriterien für die Klassifizierung der Kreuzungen als symptomatisch angelegt haben, gibt es wahrscheinlich viele weitere genetische Kombinationen, die zwar nicht zu offensichtlichen Gewebeschäden führen, aber dennoch das Wachstum beeinträchtigen“, sagt Chae. Die Tübinger Wissenschaftler hoffen nun, dass sie durch systematische Untersuchungen herausfinden können, welche Kombinationen von Immunrezeptoren besonders gefährlich sind und bei welchen der Schaden zwar nicht so offensichtlich ist, der entsprechenden Kreuzung aber dennoch Wachstumsnachteile einbringt. Daraus wollen sie Regeln ableiten, um das Gleichgewicht zwischen Wachstum und Abwehr zu optimieren – nicht nur von Wildpflanzen wie Arabidopsis, sondern auch von Nutzpflanzen. Angesichts des ständig steigenden Nahrungsbedarfs einer wachsenden Weltbevölkerung gewinnen zielführende Methoden zur Verbesserung von Nutzpflanzen ständig an Bedeutung.

Max-Planck-Gesellschaft, 20. November 2014

 

Originalpublikation:

Eunyoung Chae, Kirsten Bomblies, Sang-Tae Kim, Darya Karelina, Maricris Zaidem, Stephan Ossowski, Carmen Martín-Pizarro, Roosa A.E. Laitinen, Beth A. Rowan, Hezi Tenenboim, Sarah Lechner, Monika Demar, Anette Habring-Müller, Christa Lanz, Gunnar Rätsch, Detlef Weigele. Species-wide Genetic Incompatibility Analysis Identifies Immune Genes as Hot Spots of Deleterious Epistasis Cell, 20 November 2014. DOI: 10.1016/j.cell.2014.10.049

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