Regional angepasste Maßnahmen könnten die Ernährung von zusätzlich drei Milliarden Menschen sichern.
Forscher der Universität Bonn haben zusammen mit US-Kollegen eine Weltkarte von Strategien gegen den Hunger veröffentlicht. Sie beschreibt diejenigen Maßnahmen, die je nach Region und Feldfrucht besonders sinnvoll sind, um die Lebensmittelversorgung nachhaltig zu sichern. Die Arbeit erscheint am 17. Juli im Wissenschaftsmagazin Science. Auch in Deutschland gibt es Potenzial für Verbesserungen.
Mutter Erde ernährt ihre Kinder momentan eher schlecht als recht: Eine Milliarde Menschen gehen jeden Abend hungrig zu Bett. Gleichzeitig trägt die Landwirtschaft erheblich zur Umweltbelastung bei, etwa durch Treibhausgasemissionen, Bewässerung oder Überdüngung. Das Problem wird sich noch verschärfen – bis 2050 soll die Weltbevölkerung um weitere zwei Milliarden Erdenbürger wachsen.
Dennoch ließe sich die Lebensmittelversorgung nachhaltig sichern, sind Experten überzeugt. Schon 2011 hat ein internationales Forscherteam unter Beteiligung der Universität Bonn dazu fünf Maßnahmen vorgeschlagen. Nun legen die Wissenschaftler nach: In einer aktuellen Science-Publikation zeigen sie, in welchen Weltregionen welche der Maßnahmen besonders sinnvoll sind. „Wir haben die Strategien identifiziert, mit denen wir je nach Region die größtmögliche Wirkung erzielen können“, erklärt Dr. Stefan Siebert von der Universität Bonn.
Ein Ziel ist es beispielsweise, die Ernteerträge zu erhöhen – etwa durch verbesserte Anbaumethoden und Technologien. In Regionen wie Deutschland haben derartige Maßnahmen aber nur wenig Potenzial. Hierzulande erzielen Landwirte bereits rund 80 bis 90 Prozent der Erträge, die momentan unter den gegebenen Boden- und Klimaverhältnissen erreichbar sind.
Nahrung für 850 Millionen Menschen durch höhere Erträge
Anderswo ist die Lücke größer; in manchen Regionen könnten Landwirte bei verbessertem Anbau zehnmal soviel ernten. Die „Ertrags-Lücke“ beträgt dort also 90 Prozent. „Wenn wir diese Lücke auf 50 Prozent schließen, könnten wir rund 850 Millionen Menschen zusätzlich ernähren“, betont Siebert. Die dazu nötigen Maßnahmen sollten sich vor allem auf Afrika, Asien und Osteuropa konzentrieren: Allein dort könnte Nahrung für zusätzlich 780 Millionen Menschen produziert werden.
Die Forscher fordern zudem, die Umwandlung der Regenwälder in Acker- und Weideland zu stoppen. An der Spitze steht hier Brasilien: Ein Drittel des Weltregenwald-Verlustes zwischen den Jahren 2000 und 2012 geht auf das Konto des WM-Gastgebers. Indonesien folgt mit 17 Prozent auf Platz 2. Folgen sind der Verlust der Artenvielfalt, ein beschleunigter Klimawandel und die Ausbreitung von Wüsten – eine Gefahr, die weitere Menschen in den Hunger treiben könnte.
Die Studie zeigt auch, wo sich der strategische Einsatz von Wasser und Düngemitteln wirklich lohnt. Zudem geben die Forscher an, in welchen Gegenden Nahrungsmittel besonders ineffizient genutzt werden. Dieses Problem betrifft nicht nur die Wohlstands-Gesellschaften, sondern auch die Entwicklungsländer: Ein Drittel bis die Hälfte der Lebensmittel wird dort von Schädlingen gefressen oder verdirbt aufgrund der mangelhaften Lager- und Transportinfrastruktur.
Deutschland: Zu viel Tierfutter und Energiepflanzen angebaut
Die Forscher kritisieren zudem, dass weltweit pflanzliche Lebensmittel immer seltener für den menschlichen Verzehr verwandt werden. „Wir bauen Mais oder Soja an, um unsere Tiere zu füttern; dabei könnten wir diese Produkte auch selbst essen“, bemängelt Siebert. Das Problem dabei: Kein Tier setzt Nahrung hundertprozentig in Fleisch, Milch oder Eier um – so gute Futterverwerter gibt es nicht. Stattdessen kostet die Produktion einer tierischen Kalorie momentan mehr als drei pflanzliche Kalorien – ein Verlust von 70 Prozent. Der Anbau von Energiepflanzen auf Ackerland geht sogar komplett zu Lasten der menschlichen Ernährung.
An dieser Stelle sind vor allem die westlichen Industrienationen in der Pflicht: In Deutschland werden nur noch 40 Prozent der auf Ackerland erzeugten Kalorien direkt für die Ernährung von Menschen verwandt, haben die Wissenschaftler ausgerechnet. Im Ostafrikanischen Kenia liegt diese Quote fast bei 100 Prozent.
Forschungsmeldung der Universität Bonn vom 17.07.2014.
Publikation: P. C. West, J. S. Gerber, N. D. Mueller, K. A. Brauman, K. M. Carlson, E. S. Cassidy, P. M. Engstrom, M. Johnston, G. K. MacDonald, D. K. Ray, und S. Siebert (2014); Leverage points for improving global food security and the environment; Science 345:325-328. DOI: 10.1126/science.1246067