Überpopulation von Wild konterkariert Artenschutz

Reh (Capreolus capreolus). © Marek Szczepanek. CC BY-SA 4.0.

Reh (Capreolus capreolus). © Marek Szczepanek. CC BY-SA 4.0.

Leider gelingt Artenschutz nicht immer überall dort, wo er erreicht werden soll. Forscher haben nun auf fast 7000 Untersuchungsflächen in Thüringen und Rumänien den Zustand der Waldverjüngung untersucht. Den Forschern zufolge vermehren sich Rehe und Hirsche in den geschützten Gebieten der Laubwälder so massiv, dass die erwünschte Biodiversität, in diesem Falle die Baumverjüngung, nicht erfolgen kann. Sie wird von den zahlreichen Tieren einfach weggefressen. Die Forscher schließen daraus, dass das ambitionierte politische Ziel der Biodiversitätsstrategie, fünf Prozent des Waldes zu schützen und aus der Nutzung zu nehmen, eher zu einem Artenverlust führen wird.

Die Forscher haben in einer umfassenden, in dieser Größe bisher einmaligen Studie den Bestand großer Waldgebiete untersucht. Demnach fallen in Thüringen etwa 50 bis 60 Prozent der Baumarten dem Wildverbiss zum Opfer. In Rumänien sind es zehn bis 30 Prozent aller Baumarten. Die Schäden sind in beiden Ländern in den geschützten Gebieten am größten. Das liegt daran, dass sich in diesen Gebieten zu viele Paarhufer tummeln, die die jungen Baumtriebe einfach wegfressen. So geht das ursprüngliche Schutzziel insgesamt verloren. Aber auch Wirtschaftswälder leiden unter den gleichen Problemen. Auch dort sind die Wildschäden so hoch, dass das erklärte Wirtschaftsziel eines ökologischen Waldumbaus vermutlich nicht gelingen wird.

Hirsche. © Deepsky. CC BY-SA 3.0.

Hirsche (Cervus elaphus). © Deepsky. CC BY-SA 3.0.

„Die Situation ist äußerst ernst“ sagt Ernst-Detlef Schulze, Emeritus Professor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. In Thüringen sollen 25.000 Hektar Wald aus der Bewirtschaftung genommen werden, um Arten zu schützen. „Im Augenblick werden dadurch Monokulturen von Buche erzeugt, unter anderem da Buchentriebe deutlich weniger von Reh und Hirsch gefressen werden als Begleitbaumarten. Ökologisch gesehen ist die Situation vergleichbar mit anderen Monokulturen z.B. Fichtenwäldern.“

Die Studie verdeutlicht, dass Artenschutzkonzepte nur dann erfolgreich sein können, wenn sie im komplexen Zusammenhang der gesamten Flora und Fauna entworfen werden. Der Pflanzenexperte Schulze hat daher die Waldinventur gemeinsam mit Experten aus der Vegetationskunde und der Zoologie durchgeführt: „Wir sehen hier die Problematik eines möglicherweise zu eng fokussierten Naturschutzes“ sagt Helge Walentowski von der Bayerischen Landesanstalt für Wald- und Forstwirtschaft in Freising, „denn wir haben in Schutzgebieten viel Totholz, aber z.B. keine Schmetterlinge mehr. Der Verlust der verschiedenen Baumarten durch Verbiss führt zu einem Artenschwund bei den Schmetterlingen. Jede zweite Art stirbt, weil die Nahrungsgrundlage der Insekten, die meist auf eine oder wenige Pflanzenarten spezialisiert sind, durch das Reh im Keimlingsalter weggefressen wird“.

Wolf (Canis lupus). © Bernard Landgraf. CC BY-SA 3.0.

Wolf (Canis lupus). © Bernard Landgraf. CC BY-SA 3.0.

Das Fehlen von Raubtieren führt in den geschützten Gebieten zur großen Vermehrung von Reh und Hirsch. „Die Situation wird sich erst ändern, wenn die rechtlichen Grundlagen zur Bejagung geändert werden“ sagt Frau Laura Bouriaud, Professorin für Forstrecht an der Forstlichen Hochschule in Suceava, Rumänien. „Es gibt keinen Grund dafür, dass Jäger ein Monopol auf die Regulation der Wildbestände halten, wenn die Populationen außer Kontrolle geraten“. Domink Hessenmöller, Mitarbeiter bei Thüringen Forst fordert daher: „Nur eine nachhaltige Bewirtschaftung von Wald und Wild kann den Zustand der Biodiversität im Wald erhalten.“ Überraschende Zusammenhänge kamen auch aus Rumänien: „Wir waren selber über den Befund erstaunt, und zwar umso mehr, als wir die Schäden so nicht erwartet hatten.“ sagt Olivier Bouriaud vom Rumänischen forstlichen Forschungs- und Management-Institut in Bukarest. „Wir haben nämlich Wolf, Bär und Luchs in Rumänien. Doch jagt der Wolf lieber ein Schaf auf den alpinen Weiden als ein Reh auf alpinen Waldhängen; wir haben also immer noch den Wildverbiss im Wald.“

Max-Planck-Gesellschaft, 3. Dezember 2014

 

Originalpublikation:

E.D. Schulze, O. Bouriaud, J. Wäldchen, N. Eisenhauer, H. Walentowski, C. Seele, E. Heinze, U. Pruschitzki, G. Dănilă, G. Martin, D. Hessenmöller, L. Bouriaud, M. Teodosiu. Ungulate browsing causes species loss in deciduous forests independent of community dynamics and silvicultural management in Central and Southeastern Europe. Annals of Forest Research, 27. November 2014. DOI: 10.15287/afr.2014.273

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