Wie die Seychellenfliege von den giftigen Früchten des Noni-Baumes abhängig wurde

Die Frucht des Noni-Baums (Morinda citrifolia) enthält giftige Säuren und wird dennoch von Fruchtfliegen der Art Drosophila sechellia als ausschließliche Nahrungsquelle genutzt und als Substrat für die Eiablage aufgesucht. © Anna Schroll

Die Frucht des Noni-Baums (Morinda citrifolia) enthält giftige Säuren und wird dennoch von Fruchtfliegen der Art Drosophila sechellia als ausschließliche Nahrungsquelle genutzt und als Substrat für die Eiablage aufgesucht.
© Anna Schroll

Im Laufe der Evolution passen sich Tiere an verschiedenste Nahrungsquellen an – selbst an giftige Pflanzen oder Früchte. Auf giftige Pflanzen als Nahrungsquelle spezialisierte Tier müssen sich ihre Nahrung kaum mit anderen, konkurrierenden Tierarten teilen. Das verschafft ihnen einen eindeutigen Selektionsvorteil. Wissenschaftler haben jetzt herausgefunden, warum die Fruchtfliege Drosophila sechellia sich ausschließlich von den giftigen Früchte des Noni-Baumes ernährt und darauf auch ihre Eier ablegt. Bei den weiblichen Fliegen ist ein Gen mutiert, das zu einer verringerten Eierproduktion führt. Denn den Fliegen fehlt eine Vorstufe des Hormons Dopamin, das ihre Fruchtbarkeit steuert. Die Noni-Frucht enthält große Mengen genau dieser Substanz. Nur wenn die Fliegen diese Hormonvorstufe mit ihrer Nahrung aufnehmen, können sie ihr genetisches Defizit wieder ausgleichen und dadurch den Fortpflanzungserfolg deutlich verbessern. Die gleiche Mutation ist auch dafür verantwortlich, dass die Fliegen gegen das Gift der Früchte resistent sind.

Drosophila sechellia ist eine mit der Taufliege Drosophila melanogaster eng verwandte Art, die ausschließlich auf den Seychellen im Indischen Ozean vorkommt. Die Seychellenfliege ist auf die Frucht des Noni-Baumes (Morinda citrifolia) spezialisiert: Sie ernährt sich von ihr und legt auch ihre Eier auf den Früchten ab. Für alle anderen Fruchtfliegenarten ist der Kontakt zu reifen Noni-Früchten jedoch tödlich.

Seychellenfliegenweibchen bilden deutlich weniger Eier als andere Fruchtfliegenarten. Daher ist es sehr schwierig, diese Art unter Laborbedingungen zu züchten. Bietet man den Fliegen allerdings Noni-Früchte oder bestimmte Komponenten aus der Frucht als Nahrung an, so steigt die Fruchtbarkeit der Weibchen deutlich.

Warum Drosophila sechellia so sehr von den giftigen Früchten ihrer Wirtspflanze abhängig geworden ist, haben jetzt Sofia Lavista Llanos, Bill Hansson und ihre Kollegen am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena entdeckt. In Fütterungsexperimenten stellten sie fest, dass die Weibchen dieser Fliegenart sechsmal mehr Eier produzierten, wenn sie mit Noni-Früchten statt der üblichen Laborkost gefüttert wurden.

Gefärbter Eierstock einer Drosophila-sechellia-Fruchtfliege, die außerhalb ihrer Wirtspflanze gezüchtet wurde. Ohne L-DOPA in der Nahrung ist die Eireifung gestört und kommt zum Stillstand. © MPI f. chemische Ökologie/ S. Lavista Llanos

Gefärbter Eierstock einer Drosophila-sechellia-Fruchtfliege, die außerhalb ihrer Wirtspflanze gezüchtet wurde. Ohne L-DOPA in der Nahrung ist die Eireifung gestört und kommt zum Stillstand.
© MPI f. chemische Ökologie/ S. Lavista Llanos

Die Fruchtbarkeit der Fliegen wird durch das Hormon Dopamin gesteuert. Bei Dopaminmangel ist die Größe ihrer Ovarien und die Anzahl der Eier stark vermindert. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass eine Vorstufe für die Bildung von Dopamin bei Drosophila sechellia in deutlich geringeren Mengen vorkommt als bei anderen Fruchtfliegenarten. Bei dieser Dopamin-Vorstufe handelt es sich um Levodopa, auch L-DOPA genannt, einer Substanz, die vor allem als Arzneistoff gegen die Parkinson-Krankheit bekannt ist. Wenn man der Nahrung der Seychellenfliegen L-DOPA zusetzt, produzierten die Weibchen mehr Eier. Dieser Effekt trat jedoch nicht auf, wenn dem Futter Dopamin selbst zugefügt wurde. Es stellte sich heraus, dass die Noni-Früchte L-DOPA enthalten.

Ein genetischer Vergleich von Drosophila sechellia mit anderen Arten der Gattung Drosophila ergab, dass die Seychellenfliege eine Mutation in einem Gen namens Catsup aufweist. Diese Genmutation bewirkt, dass die Weibchen weniger Eier produzieren. „Wird Catsup in anderen Fruchtfliegenarten ebenfalls verändert, weisen die mutierten Fliegen die gleichen Charakteristika wie Drosophila sechellia auf: eine geringere Fruchtbarkeit und eine ungewöhnliche Anhäufung des Enzyms in den Eiern, das für die Synthese von L-DOPA benötigt wird“, erläutert Sofia Lavista Llanos. Gleichzeitig macht die Catsup-Mutation die Fliegen auch resistenter gegen die giftigen Säuren der Noni-Frucht. Durch die Mutation legen die Fliegenweibchen ihre Eier erst in einem späteren Entwicklungsstadium ab. Dann haben die Embryonen bereits eine Hülle gebildet, die sie vor der giftigen Umgebung ihrer Wirtspflanze schützt. Außerdem werden die Drosophila sechellia Embryonen dank ihrer Catsup-Mutation fast dreimal so groß, wie andere Drosophila Arten. Dadurch können sie die Giftstoffe besser abpuffern und so die Chancen auf ein Schlüpfen der Larven erhöhen.

Fruchtfliegen werden von fruchtigen Düften angelockt. Von sehr hohen Konzentrationen dieser Düfte werden die Fliegen hingegen abgeschreckt. Das trifft jedoch auf Drosophila sechellia nicht zu: „Aus früheren Untersuchungen wissen wir, dass diese Fliegen vom Duft der giftigen Noni-Früchte angelockt werden, egal welche Konzentrationen der Duft erreicht“, sagt Bill Hansson. Ein höherer Dopaminspiegel verbessert die Resistenz der Fruchtfliegen gegen die Toxine aus dem Noni-Baum. Deshalb wollen die Forscher nun herausfinden, ob die Dopaminmenge auch einen Einfluss auf die Attraktivität der Noni-Früchte gegenüber den Seychellenfliegen hat.

Die Enzyme für die Bildung von Dopamin sind über die Artgrenzen hinweg in Wirbellosen und Wirbeltieren erhalten geblieben. „Drosophila sechellia könnte zu einem Modell für die Erforschung des Dopaminstoffwechsels werden. Die enge Verwandtschaft zum Modellorganismus Drosophila melanogaster ist dabei ein großer Vorteil, denn wir können auf über 50 Jahre Forschung zurückgreifen“, meint Sofia Lavista Llanos.

In diesem Zusammenhang sind die Ursachen und Auswirkungen eines Dopaminmangels medizinisch interessant. Auch beim Menschen steuert der Botenstoff Dopamin wichtige Vorgänge im Körper. Wenn das sogenannte „Glückshormon“ fehlt, kann es zu Erschöpfungszuständen und Depressionen kommen. Auch Parkinsonpatienten leiden an einem extremen Dopaminmangel. Grundlegende Kenntnisse über die genetischen und biochemischen Prozesse des L-DOPA-Mangels bei Drosophila sechellia könnten möglicherweise auch zum Verständnis des Dopaminstoffwechsels beim Menschen beitragen.

Max-Planck-Gesellschaft, 9. Dezember 2014

 

Originalpublikation:

Lavista Llanos, S., Svatoš, A., Kai, M., Riemensperger, T., Birman, S., Stensmyr, M. C., Hansson, B. S. Dopamine drives Drosophila sechellia adaptation to its toxic host. eLife 2014;3:e03785, DOI: 10.7554/eLife.03785

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