Forscher haben die Essgewohnheiten der Neandertalern unter die Lupe genommen. Wie die Isotopenzusammensetzungen im Kollagen der Urmenschenknochen verrät, bevorzugten die Neandertaler vor allem große Pflanzenfresser, wie Mammute und Nashörner. Doch es stand auch pflanzliche Kost auf ihrem Speiseplan.
Die sogenannte Paleo-Diät ist einer der neuen Trends ernährungsbewusster Menschen. Dabei wissen wir gar nicht so genau, wovon sich Neandertaler und Homo sapiens in der Steinzeit ernährten. Diese evolutionsbiologisch relevante Frage wird unter Wissenschaftlern seit Jahrzehnten intensiv diskutiert, ohne jedoch konkrete Ergebnisse geliefert zu haben. Deshalb hat sich ein Forscherteam um Hervé Bocherens an der Universität Tübingen nun daran gemacht, dieses Rätsel zu lösen.
Dazu untersuchten sie Knochen, die von zwei Fundstellen in Belgien stammen. Die Sammlung umfasst zahlreiche alte Knochen von Mammuten, Wollnashörnern, Wildpferden, Rentieren, Wisenten, Höhlenhyänen, -bären und -löwen sowie Überreste von Wölfen, die zwischen 45.000 und 40.000 Jahre alt sind. Dazu gehörten auch die Knochen mehrerer Neandertaler, die in unmittelbarer Nähe der anderen Knochen gefunden wurden. Mit Hilfe von Isotopenuntersuchungen des Knochen-Kollagens, fanden die Forscher heraus, dass sich die Nahrung der Neandertaler deutlich von der der Raubtieren unterschied. Kollagen ist ein wesentlicher Bestandteil des Bindegewebes in Knochen, Zähnen, Knorpeln, Sehnen, Bändern und der Haut.
Bisher ging man davon aus, dass die Neandertaler Jagd auf die selben Beutetiere machten, wie die Raubtier in ihrer Nachbarschaft. Den Ergebnissen der Forscher zufolge war das jedoch keineswegs der Fall. Vielmehr besetzte jeder Jäger, ob nun tierisch oder menschlich, eine ganz spezifische ökologische Nische: So waren etwa Höhlenlöwen auf Wisente und Rentiere spezialisiert. Wölfe jagten Wisente, Rentier und Wildpferde. Und Höhlenhyänen als Aasfresser hielten sich an die sterblichen Überreste von Wisent, Wildpferd, Wollnashorn und Mammut. Während allein der Neandertaler sich an die großen Pflanzenfresser Mammut und Wollnashorn als Beute heran traute.
Doch unsere ausgestorbenen Verwandten lebten nicht nur vom Fleisch ihrer großen Beutetiere: Wie die Isotopenzusammensetzung einzelner Aminosäuren ihres Kollagens verriet, bestand etwa 20 Prozent ihrer Nahrung aus pflanzlicher Kost. Damit konnten die Forscher nun erstmals quantitativ ermitteln, wie groß der Anteil pflanzlicher Nahrung der späten Neandertaler war. Gleiches dürfte auch für den steinzeitlich modernen Menschen gelten.
Damit wird auch deutlich, dass die Neandertaler nicht mit anderen Raubtieren um Beutetiere konkurrierten. Wohl aber mit dem modernen Menschen, der ebenfalls Jagd auf die gleichen Großsäuger machte. Darin könnte auch der Grund für das Aussterben des Neandertalers vor 40.000 Jahren liegen. Entweder könnte ihm der moderne Mensch bei der Jagd auf das Großwild überlegen gewesen sein, so dass er nicht mehr genügend Beute machte. Oder der moderne Mensch begann den Neandertaler als Nahrungskonkurrenten direkt zu verfolgen. Der Neandertaler könnte aber auch einfach in der zunehmend größeren Population des modernen Menschen aufgegangen sein.
Zudem macht die Studie deutlich, dass Mammuts und Wollnashörner in der Steinzeit nur die zwei Menschenarten zu fürchten hatten: Den Neandertaler und den modernen Menschen. Damit könnten beide zusammen maßgeblich zum Aussterben von Mammut und Wollnashorn beigetragen haben.
Senckenberg Gesellschaft, 11.03.2016
Originalpublikation:
Naito, Y.I., Chikaraishi, Y., Drucker, D.G., Ohkouchi, N., Semal, P., Wißing, C., Bocherens, H., in press. Ecological niche of Neanderthals from Spy Cave revealed by nitrogen isotopes of individual amino acids in collagen. Journal of Human Evolution
Wißing, C., Rougier, H., Crevecoeur, I., Germonpré, M., Naito Y.I., Semal, P., Bocherens, H., in press. Isotopic evidence for dietary ecology of Neandertals in North-Western Europe. Quaternary International DOI: 10.1016/j.quaint.2015.09.091