Der Krüger-Nationalpark sowie weitere öffentliche und private Wildgehege sind zu wahren Schlachtfeldern geworden, auf denen staatliche Sicherheitskräfte und Wildhüter für das Überleben der Rhinozerosse kämpfen. Trotzdem wird es Schätzungen zufolge nur noch sieben Jahre dauern, bis sie ausgerottet sind. Annette Hübschle untersucht, warum der Schutz des Nashorns nicht gelingt.
Ich bin in Namibia aufgewachsen und hatte durch meine langjährige Rolle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem südafrikanischen Forschungsinstitut im Forschungsbereich des organisierten Verbrechens Netzwerke aufgebaut, die bei der Datenerhebung äußerst wertvoll waren. Während meiner zwölf Monate Feldforschung im südlichen Afrika und in Südostasien habe ich mehr als 420 ethnografische Interviews und Diskussionen in Kleingruppen durchgeführt. Unter den Interviewten waren Wilderer und deren Anführer – die meist aus Mosambik stammenden kingpins –, verurteilte Nashornjäger in südafrikanischen Gefängnissen, Nashornfarmer, Strafverfolger und Wildhüter, Vertreter von Dorfgemeinschaften, die in der Nähe des Krüger-Nationalparks auf der mosambikanischen Seite leben, von Naturschutzorganisationen und NGOs, Händler, Schmuggler und asiatische Konsumenten. Die hohe Zahl an Interviews und der Vergleich mit anderen qualitativen Daten wie etwa Polizeidokumenten und Gerichtsakten erleichterten es, die Erkenntnisse zu verifizieren.
Dies ist besonders wichtig, wenn illegale Märkte untersucht werden. Mein Ziel war es, den Markt in seiner Gesamtheit zu verstehen und zu erfassen, angefangen bei der „Produktion“ – der Wilderei, der Jagd oder dem Diebstahl – bis hin zum grenzübergreifenden Produkttausch und Konsum des Rhinozeroshorns. Im Hinblick auf die Hindernisse, die Illegalität und Transnationalität bedeuten, stellt sich die Frage, wie die diversen Marktakteure Teil einer Gesellschaftsordnung werden und die Koordinationsprobleme lösen, die Wettbewerb, Zusammenarbeit und Wertbildung an sie stellen.
Ein wichtiger Befund, der sich herausschält, ist, dass zentrale Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette das Verbot der Nashornwilderei schlichtweg nicht akzeptieren. Ich bezeichne dieses Phänomen als contested illegality, angezweifelte Illegalität, und es fungiert als eine Legitimationsstrategie für illegale wirtschaftliche Handlungsweisen. Das fängt bei den Wilderern an. Meist handelt es sich dabei um Menschen, die das ihnen angestammte Land und die damit verbundenen Jagdrechte durch koloniale Enteignung oder die Gründung von Nationalparks oder Wildschutzgebieten verloren haben. Dass sie die neu geschaffene Rechtsordnung und das Handelsverbot durch das Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES) von 1973 – das auch noch unter dem alten Apartheidsregime etabliert wurde – nicht akzeptieren, liegt auf der Hand.
Die Wilderer sind jedoch oft nur die Fußsoldaten von professionellen Großwildjägern und Großwildfarmern, meist weißen Afrikanern, die über persönliche Netzwerke verfügen und Rhinozeroshorn bis nach Asien verkaufen. Unter ihnen gibt es viele, die eigenes Farmland oder Jagdreviere besitzen, aber auch Tierärzte und Hubschrauberpiloten. Auch diese Leute glauben, dass sie, moralisch betrachtet, auf der Seite des Rechts stehen. Die verbreitete Meinung unter ihnen ist, dass man das Nashorn nur effektiv schützen könne, wenn man Jagd und Verkauf des Horns erlaubt, um Anreize für die private Zucht zu schaffen, und wenn man der Staatskasse die für den Umwelt- und Artenschutz erforderlichen Geldmittel zuführt.
Tatsächlich hat ein solcher Ansatz auf lokaler Ebene bislang jedoch wenig bewirkt – der landinterne Handel mit Rhinozeroshorn war bis 2009 in Südafrika erlaubt – und hat Schnittstellen zwischen legalen und illegalen Geschäften kreiert. Die prominente Rolle von Staatsakteuren in der Form von korrupten Aktivitäten ist nicht zu vernachlässigen, wie zum Beispiel Betrug bei CITES-Genehmigungen bis hin zur aktiven Teilnahme von Polizisten und Wildschützern in Wildereigruppen.
Bei den Endabnehmern schließlich scheint die Unrechtmäßigkeit so gut wie keine Rolle zu spielen. Rhinozeroshorn gehört zu den teuersten Waren der Welt, ein Kilogramm kostet mehr als 50 000 Euro. Traditionell wird das pulverisierte Horn als Medizin verwendet. Es ist aber auch Statussymbol, Geschenk zur Vertiefung von Geschäftsverbindungen oder Investitionsobjekt. Wer Rhinozeroshorn als Wertanlage kauft, der setzt geradezu darauf, dass die Preise im Zuge des Aussterbens der Nashörner weiter steigen.
Viele der bisherigen politischen Maßnahmen haben in meinen Augen das Problem nur verschlimmert. Die Mobilisierung der Armee zum Schutz der Nashörner und die Erlaubnis für Wildschützer, die sich bedroht fühlen, Schusswaffen einzusetzen, haben dazu geführt, dass im vergangenen Jahr allein im Krüger-Nationalpark an die fünfzig Wilderer erschossen wurden – nicht gerade förderlich für die Akzeptanz von Schutzmaßnahmen für Nashörner. Es ist nicht verwunderlich, wenn die Lokalbevölkerung den Eindruck gewinnt, das Leben eines wilden Tieres werde höher bewertet als ihres.
Soziale Ungerechtigkeit und das koloniale Erbe begünstigen die Hinwendung der Lokalbevölkerung zur Wilderei, bietet sie doch Möglichkeiten zur sozialen Mobilität, also zum Aufstieg in höhere sozioökonomische Positionen. Denn Wilderer bilden ihre eignen Jagdgruppen und vertreiben das Horn an Zwischenmänner oder asiatische Abnehmer. Zudem haben Dorfbewohner rund um den Krüger-Nationalpark nur wenige andere Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Im Zuge von Parkerweiterungen durch den Anschluss von Schutzgebieten in den Nachbarländern Mosambik und Simbabwe sind erst in der jüngsten Zeit erneut Dorfgemeinden umgesiedelt worden. Was ich mir vorstellen könnte, wäre der Einsatz von Social Impact Bonds – Strukturhilfen und Investitionen für Landansprüche, Schulen und Krankenhäuser, die als Belohnung dafür gezahlt werden, dass die Dorfgemeinschaften den Kampf gegen die Wilderei unterstützen.
Max-Planck-Gesellschaft, 23. Februar 2017