Meereserwärmung führt zu Umwälzung von Ökosystemen

Der Polardorsch Boreogadus saida in der Arktis. Foto: Hauke Flores, Alfred-Wegener-Institut

Der Polardorsch Boreogadus saida in der Arktis. Foto: Hauke Flores, Alfred-Wegener-Institut

Lebewesen müssen atmen und ausreichend Energie gewinnen, um sich bewegen zu können, Nahrung zu suchen oder sich fortzupflanzen. Diese Regel gilt für uns Menschen in gleicher Weise wie für die Tierwelt der Ozeane. Den meisten Meeresbewohnern wird es in Zukunft immer schwerer fallen diese lebensnotwendigen Bedürfnisse zu decken. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie, in der Biologen erstmals allgemeingültige Regeln für die weitreichenden Konsequenzen der Ozeanerwärmung aufgestellt haben. Ihr Fazit: Wegen der Folgen des Klimawandels werden die Meeresbewohner ihren Sauerstoff- und Energiebedarf in ihren angestammten Lebensräumen kaum mehr decken können. Die Folge: Die Arten wandern in kühlere Regionen oder größere Wassertiefen ab, Ökosysteme werden umgewälzt, die Artenvielfalt schrumpft.

Um die Auswirkungen des Klimawandels auf das Leben in den Weltmeeren genauer und global vorhersagen zu können, suchen Meeresbiologen seit langem nach allgemein gültigen Prinzipien, mit denen sich die Lebensbedingungen in den Ozeanen beschreiben lassen. Dabei lautet eine der Kernfragen: Wie wirkt sich die Erwärmung der Meere und die damit verbundene Abnahme des Sauerstoffgehaltes im Wasser auf die Lebensfähigkeit der Meereslebewesen aus? Denn: „Soll ein Tier etwas leisten, kostet dies Energie, die das Tier zusätzlich zu seinem Grundumsatz aufbringen muss. Meereslebewesen gewinnen diese zusätzliche Energie, indem sie mehr Sauerstoff aus dem Wasser aufnehmen und veratmen. In welchem Ausmaß dies jedoch möglich ist, hängt zum einen von der Wassertemperatur ab; zum anderen von der Frage, wie empfindlich diese Art auf Sauerstoffmangel reagiert“, erläutert der Meeresbiologe Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut.

Aalmutter.  © Yuriy Kvach. Wikimedia Commons. CC BY-SA 3.0

Aalmutter (Zoarces viviparus)… © Yuriy Kvach. Wikimedia Commons. CC BY-SA 3.0

Hans-Otto Pörtner und seine amerikanischen Kollegen haben am Beispiel ausgewählter Tierarten die Fähigkeit berechnet, den Energieumsatz zu steigern. Anschließend verglichen sie die Ergebnisse mit den Temperaturen und dem Sauerstoffgehalt der Ozeane. Auf diese Weise konnte sie für jede Art einen sogenannten Stoffwechselindex ermitteln, der für sauerstoff-atmende Meeresbewohner eine kritische Grenze definiert: „Meerestiere wie zum Beispiel Aalmuttern, Steinkrabben oder Kabeljau können nur dort leben, wo sie so viel Sauerstoff vorfinden, dass sie bei Bedarf ihre Stoffwechselrate um das Zwei- bis Fünffache des Grundumsatzes steigern können. Das heißt, jede Tierart hat sich nicht nur auf einen bestimmten Temperaturbereich spezialisiert. Um zu überleben, ist sie auch auf einen ausreichend hohen Sauerstoffgehalt angewiesen“, sagt Curtis Deutsch von der Universität Washington, Seattle.

Steinkrabbe. © Moondigger. Wikimedia Commons.  CC BY-SA 2.5.

Steinkrabbe (Paralithodes californiensis) … © Moondigger. Wikimedia Commons. CC BY-SA 2.5.

Im Zuge des Klimawandels stehen die Meeresbewohner deshalb vor folgendem Problem: Je wärmer das Wasser wird, desto weniger Sauerstoff kann es aufnehmen und speichern. Gleichzeitig benötigen die Tiere im wärmeren Wasser mehr Energie und Sauerstoff, um ihren Grundumsatz sicherzustellen. Das wiederum bedeutet: Je wärmer die Meere werden, desto weiter sinkt die Fähigkeit seiner Bewohner, ihren Sauerstoffverbrauch um das Zwei- bis Fünffache ihres artspezifischen Grundumsatzes zu steigern. Unter diesen Bedingungen fällt ihnen schon die Bewegung alleine, umso mehr aber die Futtersuche oder Fortpflanzung schwer. „Wird es zu warm und unterschreitet der Sauerstoffgehalt einer Meeresregion die artspezifischen Mindestanforderungen der Lebewesen, müssen die Tiere ihren angestammten Lebensraum verlassen. Meist wandern sie dann in kühlere Regionen ab. Das heißt, sie verlagern ihre Lebensräume entweder polwärts oder in größere Wassertiefen. Beim Kabeljau und vielen anderen Fischarten beobachten wir diese Verschiebung des Lebensraumes schon jetzt“, sagt Hans-Otto Pörtner.

und Kabeljau  © Hans-Petter Fjeld. Wikimedia Commons. CC BY-SA 2.5.

… und Kabeljau (Gadus morhua) können nur dort leben, wo sie so viel Sauerstoff vorfinden, dass sie bei Bedarf ihre Stoffwechselrate um das Zwei- bis Fünffache des Grundumsatzes steigern können. © Hans-Petter Fjeld. Wikimedia Commons. CC BY-SA 2.5.

Dieses Phänomen der Artenverschiebung können die Wissenschaftler in ihrer Studie für alle Breitengrade vorhersagen. Zudem verstärkt er sich in jenen Regionen, in denen der Sauerstoffgehalt des Wassers zusätzlich sinkt, etwa durch die zunehmende Wasserschichtung oder weil der Mensch viele Nährstoffe in das Meer einleitet, was das Wachstum sauerstoffverbrauchender Mikroorganismen fördert.

Besonders deutliche Veränderungen der Tierwelt erwarten die Forscher für die Polarmeere. „Im Nord- und Südpolarmeer ist das Wasser sehr kalt, aber auch sehr sauerstoffreich. Die dort lebende Tierwelt hat sich im Laufe der Evolution auf diese Lebensbedingungen eingestellt und wird nur wenige Anpassungsmöglichkeiten haben, wenn es zu der kombinierten Erwärmung und Sauerstoffabnahme kommt. Stattdessen werden wärmeliebende Arten Einzug halten, die an höhere Wassertemperaturen und geringere Sauerstoffkonzentrationen angepasst sind. Sie werden die polaren Arten verdrängen“, sagt Hans-Otto Pörtner.

Im Nordpazifik zum Beispiel beobachten Forscher schon jetzt einen stärkeren Rückgang der Sauerstoffkonzentration als wärmebedingt erwartet wurde. In solchen Meeresregionen verringert sich die geografische Verbreitung der Arten drastisch, was natürlich zur Folge hat, dass dort auch die Fischerei in einem großen Maße von den Veränderungen betroffen ist.

Aus Forscherperspektive bietet das neue Konzept des Stoffwechselindexes nun die Chance, bessere Vorhersagen zu treffen. „Wir haben jetzt einen universellen Ansatz zur Verfügung, um die klimabedingten Veränderungen der geografischen Verbreitung von Arten und ihrer Produktivität besser zu erfassen“, sagt Hans-Otto Pörtner. Jetzt sei es Aufgabe der Wissenschaft, weitere Arten auf ihren Stoffwechselindex und dessen Grenzen hin zu untersuchen.  „Nach und nach kann so ein komplettes Bild dessen entstehen, was wir in unserer Studie in den ersten Zügen skizziert haben“, so Hans-Otto Pörtner.

Alfred-Wegener-Insitut, 4. Juni 2015

 

Originalpublikation:

Curtis Deutsch, Aaron Ferrel, Brad Seibel, Hans-Otto Pörtner, Raymond B. Huey: Climate change tightens a metabolic constraint on marine habitats, Science 5-Jun-2015, DOI: 10.1126/science.aaa1605

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