Soja ist die weltweit am intensivsten angebaute Hülsenfrucht – dies im wahrsten Sinne des Wortes. Die Anbaufläche beträgt rund 100 Millionen Hektar; 25-mal die Fläche der Schweiz. Drei Viertel dieser Soja ist gentechnisch verändert. Dennoch ist die Hülsenfrucht nicht nur für Big Business, sondern auch für die Bio-Landwirtschaft interessant.
2016 ist das UN-Jahr der Hülsenfrüchte (siehe Teil 1 dieser Miniserie) und es markiert den zwanzigsten Geburtstag der Zulassung von gentechnisch verändertem Saatgut in den USA: Soja war eine der ersten Pflanzenarten, die man gentechnisch so manipulierte, dass sie – im Gegensatz zu den im Feld ungeplant wachsenden «Unkräutern» – durch ein bestimmtes Herbizid wie etwa Glyphosat nicht abgetötet wird. Ein Meilenstein aus Sicht der Biotechnologie, ein Sündenfall aus Sicht der Biolandwirtschaft. Billige Unkrautvernichtung und massenhafte Monokulturen sind seitdem Begriffe, die viele von uns mit Soja verbinden.
Fragwürdiges Futtermittel
Ebenfalls seit rund 20 Jahren gilt das weitgehende Verbot, Tiermehl, also zerkleinerte Tierkadaver, an andere Nutztiere zu verfüttern. Dies aus gutem Grund: Insbesondere bei den Rindern, die von Natur aus keine tierischen Futtermittel zu sich nehmen, traten erhebliche Krankheitsprobleme wie BSE (Rinderwahnsinn) auf. Die Futtermittelbranche machte sich auf die Suche nach einem Ersatzprodukt, das möglichst so preisgünstig und proteinhaltig wie Tierkadaver sein sollte, und sie fand die Sojabohne. Der Anbau weitete sich auf ökologisch wertvolle Flächen in Südamerika aus. Man mag nun «den Konsumenten» oder «die sparsame Hausfrau» dafür kritisieren, dass er oder sie möglichst billige Rindfleisch- und Milchprodukte möchte. Man mag den Landwirt, die Futtermittelbranche, die Saatgutkonzerne oder die Wissenschaftler dafür kritisieren, dass sie nicht das ihre dafür getan haben, ein nachhaltigeres oder umweltfreundlicheres Agrarsystem zu etablieren. Einen Akteur kann man meiner Meinung nach aber nicht kritisieren: Die Sojabohne.
Sie kann nichts dafür, dass heute nur noch drei Prozent ihrer Jahresproduktion in den direkten menschlichen Verzehr gelangen. Auch nicht dafür, dass sie oft entgegen vieler Regeln guter agronomischer Praxis in Nord- und Südamerika Jahr um Jahr auf denselben Feldern angebaut und dann geschrotet in alle Welt exportiert wird.
Wertvolle Kulturpflanze
Soja stammt aus Ostasien. Dort bereicherte sie bereits über viele Jahrtausende hinweg die Speisepläne, bevor man sie auch in Europa entdeckte. Tofu, Sojasauce und andere Produkte enthalten wertvolle Proteine, die es ernährungsphysiologisch mit denjenigen von Fleisch und Eiern aufnehmen können. Zudem enthalten die Samen etwa 20 Prozent Öl. Diese Eigenschaften machten Soja Mitte des 20. Jahrhunderts für den massenhaften Anbau in den USA interessant. Dank der Symbiose mit Stickstoff-bindenden Bakterien braucht Soja keinen stickstoffhaltigen Mineraldünger. Mehr noch: Soja häuft pflanzenverfügbaren Stickstoff um ihre Wurzeln herum an, was auch nachfolgenden Kulturpflanzen zugutekommt. Soja wäre daher eigentlich ein guter Kandidat für Fruchtfolgen in vielen Regionen der Erde.
Mehr Sojaanbau in Europa
Dass die Schweiz und die EU Millionen Tonnen brasilianischen Sojaschrots als Kraftfutter importieren, wird zu Recht angeprangert. In der Schweiz züchtet man Soja seit Jahrzehnten erfolgreich, um sie auch in unserem vergleichsweise kühlen Klima kultivieren zu können. Auch in Europa wächst die Anbaufläche von Soja seit Jahren; unter dem Stichwort «Donausoja» versucht nun endlich auch der alte Kontinent, die Sojabohne besser in unsere landwirtschaftlichen Systeme einzuflechten. Mittlerweile propagiert auch die Bio-Landwirtschaft Soja zur Herstellung von Nahrungsmitteln direkt für den Menschen und als Ergänzung für die Tierfütterung.
Umweltschonend und massentauglich
Wenn die derzeit laufenden Castings für «neue» pflanzliche Proteinquellen und für umweltverträglich in unsere Fruchtfolgen integrierbare Ackerfrüchte heuer zu einem Gewinner führen, dann wird dies meiner Meinung nach die Sojabohne sein. Sie könnte das Starlet des wachsenden Health-Food-Bereichs werden. Sie hat das Zeug dazu, Bio-Landwirtschaft und Big Business gleichermaßen für sich zu gewinnen, denn sie kann es sowohl umweltschonend als auch massentauglich.
Ja, ich finde, sie ist damit der George Clooney der Hülsenfrüchte, wenn nicht sogar der Ackerfrüchte unserer Epoche insgesamt. Selbst dem «so nicht!» der ewigen Nörgler kann sie kühl «So ja» entgegnen. Doch welche Rolle Soja für uns spielen soll, dafür sind wir selbst verantwortlich. Vielleicht schaffen wir es im Jahr der Hülsenfrüchte, sie nicht mehr standardmäßig in der Rolle des Kraftfutter-und Monokultur-Machos zu besetzen. Denn eigentlich ist Soja ein Tausendsassa und Teamplayer. Hoffentlich darf sie diese Rollen bald öfter übernehmen.
Übrigens: Der Kaffee, für den George Clooney wirbt, wird zwar auch aus Bohnen gemacht, aber die gehören nicht in die Familie der Hülsenfrüchte.
Von: Prof. Achim Walter, ETH Zürich, 28.01.2016