MSC-Siegel für Produkte aus überfischten Beständen

Wissenschaftler untersuchen Fischbestände. Eine neue Studie fordert die Aussetzung einer Zertifizierung mit Ökolabels von überfischten Beständen. © GEOMAR.

Wissenschaftler untersuchen Fischbestände. Eine neue Studie fordert die Aussetzung einer Zertifizierung mit Ökolabels von überfischten Beständen. © GEOMAR.

Viele europäische Fischbestände leiden an Überfischung oder sind davon bedroht. Das blaue MSC-Siegel auf Fischprodukten soll dem Verbraucher garantieren, dass der Fisch aus geprüfter umwelt- und bestandsschonender Fischerei stammt. Forscher haben nun die Zuverlässigkeit des MSC-Siegels an nordeuropäischen Fischbeständen unter die Lupe genommen. Mit ernüchterndem Ergebnis: Fanden sie doch mehr als zehn Bestände stärker befischt, als ökonomisch sinnvoll und ökologisch vertretbar sind.

Der Marine Stewardship Council (MSC) ist eine internationale, unabhängige und gemeinnützige Organisation, die Fische und Meeresfrüchte aus nachhaltiger Fischerei zertifiziert. Weltweit genießt das blaue Siegel bei Verbrauchern großes Vertrauen. Ein internationales Forscherteam untersuchte 31 nordeuropäische Fischbestände im Nordostatlantik, die durch zertifizierte nachhaltige Fischerei nach den Richtlinien des MSC befischt werden, auf ihre Bestandsgröße und Befischung. „Wir haben uns dabei an den offiziellen Bestandsabschätzungen orientiert, die auch die Grundlage für die MSC-Zertifizierung bilden“, sagt Rainer Froese vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel.

Wie die Forscher heraus fanden, wurden bereits im ersten Jahr der MSC-Zertifizierung elf der untersuchten Fischbestände über der vom MSC festgelegten Obergrenze befischt. Vier Bestände befanden sich aufgrund ihrer geringen Größe sogar außerhalb sicherer biologischer Grenzen. Dennoch dürfen Fischprodukte aus diesen Beständen weiterhin das blaue MSC-Siegel tragen. Der MSC begründet dies damit, dass sich die Bestände nach Aufnahme in das MSC-Programm erholen würden. Die Untersuchungen der Forscher zeigen jedoch keine Erholung der Bestände: Auch nach längerer Zertifizierungsdauer zwischen einem und zehn Jahren (durchschnittlich vier Jahre) konnte weder eine deutliche Abnahme des Fischereidruckes, noch eine Zunahme der Bestände beobachtet werden. Im letzten Zertifizierungsjahr für das Daten zur Verfügung standen waren sieben Bestände (44 Prozent der Bestände mit verfügbaren Daten) überfischt und fünf Bestände befanden sich jenseits sicherer biologischer Grenzen. Auf der anderen Seite lag bei elf Beständen die erlaubte Fangmenge weit über den tatsächlichen Fängen – ein Zeichen, dass die festgelegten Fangmengen nicht den realen Fangmöglichkeiten entsprechen. Die MSC-Zertifizierung soll aber eine nachhaltige Fischerei garantieren, in der unter anderem Fangquoten richtig gesetzt und eingehalten werden.

„Unsere Studie hat somit gezeigt, dass die Regulierung die Fischerei nicht effektiv beschränkt hat. Darüber hinaus wurde bei drei Beständen der erlaubte Fang um bis zu 50 Prozent überschritten“, sagt Martin Quaas vom Institut für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und Leiter der Arbeitsgruppe Nachhaltige Fischerei im Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“. Offenbar, so das Fazit der Autoren, wurden die Fänge nicht effektiv überwacht, was mit dem Anspruch einer vorbildlichen Fischerei nur schwer vereinbar ist.

Bisher mangelt es sowohl auf internationaler als auch auf europäischer Ebene an rechtlich durchsetzbaren Vorschriften für Produkte aus nachhaltiger Fischerei. Die Umsetzung der von der Welternährungsorganisation FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) definierten Standards ist für Unternehmen bisher freiwillig. „Jedes Unternehmen kann demnach den Begriff nachhaltige Fischerei frei verwenden. Kontrollierte Standards für Umweltlabels gibt es in diesem Bereich nicht“, sagt Nele Matz-Lück vom Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht an Uni Kiel. „Ökosiegel für überfischte Bestände mögen streng genommen ‚legal‘ sein, vertretbar sind sie nicht“, so Matz-Lück weiter.

Die Autoren der Studie empfehlen daher, die Richtlinien des MSC dahingehend zu ändern, dass Überfischung und unsichere Bestandsgrößen zur sofortigen Aussetzung der Zertifizierung führen. „Beim Kauf sind Fischprodukte mit MSC-Siegel zwar Produkten ohne Siegel vorzuziehen, doch um das entgegengebrachte Vertrauen der Verbraucher weiterhin zu erhalten, muss der MSC an seiner Glaubwürdigkeit arbeiten,“ resümiert Erstautorin Silvia Opitz vom GEOMAR.

Das MSC-Siegel steht laut Wikipedia immer wieder in der Kritik, weil es wiederholt für überfischte Bestände, Fischerei, bei der hohe Beifangraten vorkommen oder wo Rückwurf von verwertbarem Fisch zugunsten anderer Fänge betrieben wird vergeben wurde. Auf entsprechende Kritik von Umweltorganisationen und Wissenschaftlern reagierte die Organisation nicht mit einer Änderung der Vergabepraxis ihres Siegels. Gleichzeitig ist es wohl oft schwer rückzuverfolgen, ob die zertifizierten Fische tatsächlich aus überprüften Beständen stammen. Vielleicht sollten wir statt fragwürdig zertifiziertem Fisch lieber Tintenfische (Calamares und Co) essen. Denn ihre Bestände steigen gerade rasant an. (Anmerkung der Redaktion von Scimondo).

Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“, 24.05.2016

Originalpublikation:

Silvia Opitz, Julia Hoffmann, Martin Quaas, Nele Matz-Lück, Crispina Binohlan, Rainer Froese, Assessment of MSC-certified fish stocks in the Northeast Atlantic. Marine Policy 71 (2016), 10-14. DOI: 10.1016/j.marpol.2016.05.003

Kommentare sind geschlossen.