Vor allem weibliche Fledermäuse scheinen im Frühsommer regelrecht von Windkraftanlagen angezogen zu werden. Zu diesem Schluss kommt ein Forscherteam, nachdem es den nächtlichen Flug des einheimischen Großen Abendseglers via GPS-Tracking beobachtet hat.
Anlass der Studie ist der Konflikt zwischen einer nachhaltigen Energiegewinnung mittels Windkraft und dem Schutz gefährdeter Fledermäuse. Seit der Energiewende in Deutschland fallen immer mehr Fledermäuse den Windkraftanlagen zum Opfer. Schätzungen von Fledermausexperten zufolge sterben jährlich mehr als 250.000 der kleinen, nachtaktiven Säuger an Windkraftanlagen. Die Tiere verenden entweder, indem sie direkt mit den Rotorblättern kollidieren oder an einem sogenanntes Barotrauma, das durch die starken Luftdruckänderungen in der Nähe der Rotorblätter hervorgerufen wird. Es zerreißt die inneren Organe der Fledermäuse. Siebzig Prozent der in Deutschland betroffenen Tiere sind migrierende Fledermausarten. Zu ihnen gehört auch der Große Abendsegler (Nyctalus noctula), einer der größten einheimischen Fledermäuse.
Um herauszufinden, warum so viele Fledermäuse Opfer von Windrädern werden stellte sich ein Team von Forschern um Christian Voigt am Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin folgende Fragen: Wie verhalten sich Fledermäuse in der Nähe von Windrädern? Wo jagen sie bevorzugt ihre Beute, die Insekten? Welche Strecken legen sie dabei zurück? Und wie hoch fliegen sie? Um diese Fragen zu klären, versahen die Forscher ausgewachsene Abendsegler mit Mini-GPS-Loggern. Als Testgebiet diente ein Wald in Brandenburg, der von Ackerland und mehreren Windparks umgeben war.
Dabei machten die Forscher eine verblüffende Beobachtung: Im Frühsommer scheinen die Weibchen von den riesigen Anlagen geradezu magisch angezogen zu werden. Zwei der drei Weibchen kreuzten die Windparks sogar. „Eine Erklärung dafür ist, dass die baumbewohnenden Tiere nach der Wochenstubenphase, in der sie ihre Jungen aufzogen, neue Quartiere suchen und die Anlagen fälschlicherweise für große, abgestorbene Bäume halten“, sagt Christian Voigt. „Amerikanische Kollegen vermuten das bereits seit längerem für nordamerikanische Arten.“ Die Männchen hingegen mieden den Windpark und pendelten nur zwischen ihrem Jagdrevier und ihrem Quartier hin und her. „Was daran liegt, dass sie in dieser Zeit bereits feste Quartiere etabliert haben.“
Dabei ist der Luftraum, den die Fledermäuse auf ihrer Jagd durchstreifen erstaunlich groß. Vereinzelt stiegen sie sogar auf eine Höhe von 250 Metern auf. Fünfundneunzig Prozent der Flüge lagen jedoch zwischen 0 und 144 Metern. Eine riskante Flughöhe, denn hierbei drohen sie mit den Rotorblättern der dortigen Windräder zu kollidieren, die sich größtenteils in Höhen zwischen 67 und 133 Metern drehen!
Meist verließen die Tiere ihre Quartiere etwa eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang. Wobei die Jagdflüge der Weibchen räumlich und zeitlich ausgedehnter waren, als die der Männchen: Die weiblichen Abendsegler waren im Schnitt mehr als 1,5 Stunden unterwegs und hatten bei ihrer Rückkehr fast 30 Kilometer zurückgelegt. Während sich sich ihre männlichen Artgenossen mit einer Stunde Flugzeit und einer Flugrunde von etwa 15 Kilometern zufrieden gaben.
Außerdem stellten die Forscher fest, dass die männlichen Fledermäuse eine Vorliebe für Bio-Nahrung hatten. Sie jagten am liebsten über oder in der Nähe von Äckern, auf denen ökologische Landwirtschaft betrieben wurde. Nur 21 Prozent ihrer Flüge führten sie über konventionell genutzte Agrarflächen. Die Weibchen waren etwas weniger wählerisch, dafür mieden sie Waldflächen. Beide Geschlechter jagten besonders gerne an linearen Strukturen, wie zum Beispiel Hecken oder Alleen.
Berücksichtigt man die Forschungsergebnisse, so lassen sich Klimaschutz und Naturschutz gut miteinander vereinbaren. Demnach sollten künftige Windparks nicht in Grünlandbereichen, auf Flächen, die für ökologischen Landbau genutzt werden, in der Nähe von Wasserflächen und in der Nähe linearer Landschaftselemente errichtet werden. Ob ein potentieller Standort in einem Fledermausjagdgebiet liegt, lässt sich mit sogenannten Horchboxen herausfinden. Das sind Fledermausdetektoren, die die Anwesenheit von Fledermäusen anhand von Echoortungsrufen automatisch erfassen. „Der Betreiber hat dies in der Regel zu prüfen – aber die daraus resultierenden Auflagen werden zu selten umgesetzt“, sagt Christian Voigt.
Um die Zahl der Opfer bei bestehenden Anlagen so gering wie möglich zu halten sind nur kleine Veränderungen nötig: Denn bei Temperaturen unter 10°C und Windgeschwindigkeiten über acht Meter pro Sekunde fliegen Fledermäuse meist gar nicht. Ab dieser Windgeschwindigkeit steigt jedoch erst die Nettoenergieproduktion von Windrädern. Der Verlust für die Betreiber wäre also minimal – er liegt unter einem Prozent – wenn sie die Anlagen unter diesen fledermausfreundlichen Bedingungen abschalten würden. Die Technik dafür ist bereits vorhanden.
Es wäre also ganz einfach, fast nebenbei auch noch etwas für den Naturschutz zu tun. Und warum ist das nur selten der Fall? „Ich vermute, weil die erneuerbare Energieproduktion aus Windkraft bereits einen grünen Stempel trägt, so dass die Betreiber meinen, damit schon ausreichend für die Umwelt getan zu haben. Aber das Ziel einer intelligenten Energiewende sollte sein, in allen Bereichen nachhaltig zu arbeiten; sowohl im Umweltschutz als auch im Naturschutz. Klimaschutz und Artenschutz lassen sich miteinander vereinbaren“, betont Voigt. „Und das geht ganz einfach, indem man Standorte mit hoher Fledermausaktivität meidet und entsprechende Abschaltzeiten im Betrieb von Anlagen berücksichtigt. Damit ließen sich die Schlagopferzahlen drastisch reduzieren.“
Fledermäuse stehen in Deutschland sowie der gesamten EU unter strengem Naturschutz. Die einzigen aktiv flugfähigen Säugetiere sind sehr nützlich, denn sie ernähren sich ausschließlich von Insekten. Neben lästigen Mücken vertilgen Fledermäuse massenweise knackige Käfer und Raupen, die sich an Mais, Getreide und andern Nutzpflanzen schadlos halten. In den Tropen und Subtropen vorkommende Fledermäuse ernähren sich zum Teil auch vom Nektar von Pflanzen und spielen dort eine wichtige Rolle bei deren Bestäubung. So werden etwa Bananen oft von Fledermäusen bestäubt. „Sie vollbringen damit eine enorme Ökosystemdienstleistung, die Landwirte sehr schätzen sollten“, betont Voigt. Denn wenn Fledermäuse über den Äckern jagen, müssen deutlich weniger Insektizide eingesetzt werden.
Fledermäuse, die getötet werden, fehlen in der Population schmerzlich, da diese sich nur langsam vermehren. Durch die massiven Verluste an Windrädern werden nicht nur die lokalen Populationen dezimiert. Vielmehr sind gerade auch wandernde Arten betroffen, die Deutschland auf ihrem Weg zwischen ihren sommerlichen Fortpflanzungsgebieten in Nordosteuropa und den Überwinterungsgebieten in Süd- und Westeuropa als Transitland nutzen.
Forschungsverbund Berlin e.V., 8. Juli 2016
Originalpublikation:
Roeleke M, Blohm T, Kramer-Schadt S, Yovel Y, Voigt CC (2016): Habitat use of bats in relation to wind turbines revealed by GPS tracking. Scientific Reports 6, 28961. doi:10.1038/srep28961.