Wandel im Nahen Osten lässt sich an Änderung der Luftqualität ablesen

Während die Stickstoffdioxidemissionen von 2005 bis 2010 fast im ganzen Nahen Osten stiegen (obere Karte), sind sie zwischen 2010 und 2014 in vielen Regionen gesunken (untere Karte). Die Farben stehen für die Änderungen der Konzentration an Stickstoffdioxid in 1015 Molekülen pro Kubikmetern Luft während des betrachteten Zeitraums. © Science Advances 2015/MPI für Chemie

Während die Stickstoffdioxidemissionen von 2005 bis 2010 fast im ganzen Nahen Osten stiegen (obere Karte), sind sie zwischen 2010 und 2014 in vielen Regionen gesunken (untere Karte). Die Farben stehen für die Änderungen der Konzentration an Stickstoffdioxid in 1015 Molekülen pro Kubikmetern Luft während des betrachteten Zeitraums.
© Science Advances 2015/MPI für Chemie

Politische und wirtschaftliche Krisen sowie internationale Konflikte können sich kurzfristig und drastisch auf die Schadstoffemissionen in einer Region auswirken. Das haben Forscher am Beispiel des Nahen Ostens herausgefunden. Dazu analysierten die Forscher die Stickoxidbelastung der Atmosphäre während der letzten zehn Jahre. Die Daten berechneten sie mit Hilfe von Satellitenmessungen des atmosphärischen Stickstoffdioxidgehaltes. Demnach sanken die Stickoxidemissionen vor allem in Regionen, in denen bewaffnete Konflikte herrschen und aus denen viele Menschen geflohen sind. In Gegenden, in die sich die Flüchtlinge zurückzogen, stiegen die Emissionen dagegen stark an.

In bewaffneten Konflikten verlieren nicht nur zahllose Menschen ihre Existenz oder gar ihr Leben, sondern die Kriege bringen auch die Wirtschaft zum Erliegen. So wurden etwa in Syrien und im Irak Millionen von Menschen zu Flüchtlingen. Sowohl die Schicksale dieser Menschen, als auch die mit den kriegerischen Auseinandersetzungen einhergehenden wirtschaftlichen Krisen hinterlassen in der Atmosphäre in gleicher Weise Spuren wie andernorts eingeführte Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität. Die Veränderungen in der Atmosphäre beschreibt nun ein Team um Jos Lelieveld vom Max-Planck-Institut für Chemie mit Messungen des gesundheits- und umweltschädlichen Stickstoffdioxids. Die Forscher analysierten dazu Daten, die der Aura-Satellit der NASA im Zeitraum von 2005 bis 2014 über einigen Mittelmeerstaaten und dem Nahen Osten gemessen und täglich zur Erde gefunkt hatte.

Demnach sind die Stickstoffdioxidemissionen von 2005 bis 2010 in nahezu allen bewohnten Gebieten des Nahen Ostens deutlich gestiegen. Zwischen 2010 und 2014 sanken sie dagegen vielerorts ab: in Israel, Syrien und im Iran, in und um Kairo, Bagdad und Riad, und auch in den für den Ölexport so wichtigen Häfen am persischen Golf. Im Libanon, in Teilen des Iraks und Jordanien stiegen die Stickoxidwerte im gleichen Zeitraum jedoch weiter an.

Stickstoffdioxid über Syrien ging bis auf die Hälfte zurück

Die Gründe für die veränderten Werte sind sehr unterschiedlich: Während in Israel und im Saudi-Arabischen Riad strengere Umweltauflagen zur Reduktion der Stickoxidemissionen führten, ist die Veränderung in anderen Gebieten mit politischen und wirtschaftlichen Konflikten, Kriegen und Flüchtlingsströmen verbunden. „Es ist sehr tragisch, dass die beobachteten Negativtrends der Stickoxidemissionen zum Teil mit humanitären Katastrophen einhergehen“, sagt Jos Lelieveld.

Dies wird besonders am Beispiel Syriens deutlich. Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 sanken die Stickoxidwerte über Damaskus und Aleppo um 40 bis 50 Prozent. Laut Angaben der Vereinten Nationen sind mehr als 11 Millionen Syrer auf der Flucht. Vier Millionen davon flohen bereits aus ihrem Land, unter anderem in den benachbarten Libanon, in dem daraufhin die Emissionswerte allein 2014 um 20 bis 30 Prozent anstiegen.

Im Irak zeigt sich ein wesentlich kompliziertes Bild der Emissionen: Nach der Invasion durch die USA und Großbritannien im Jahr 2003 stieg der Energieverbrauch des Landes seit 2005 um vier bis fünf Prozent, das Bruttoinlandsprodukt sogar um sechs bis sieben Prozent pro Jahr. Parallel dazu erhöhten die Stickoxidemissionen von 2005 bis 2014 im kurdischen Norden und im Süden des Iraks kontinuierlich. In Kerbala, einer vorwiegend von Schiiten bewohnten Stadt südlich von Bagdad, sogar um etwa zehn Prozent pro Jahr. Anders sieht es in und um Bagdad sowie in den zeitweise von der Terrormiliz Islamischer Staat eroberten Gebieten im Zentrum des Landes aus: Hier sanken die Stickoxidemissionen zwischen 2010 und 2014 deutlich.

Satellitenmessungen belegen erfolgreiche Wirtschaftssanktionen im Iran

Für die drastischen Veränderungen der Stickoxidemissionen im Iran machen die Forscher die Sanktionen verantwortlich, die die Vereinten Nationen im Jahr 2010 deutlich verstärkten. Dadurch fiel 2013 und 2014 nicht nur das zuvor hohe Bruttoinlandsprodukt um sechs Prozent, auch die Emissionswerte lagen 2014 deutlich niedriger als im Jahr 2010. Sichtbar wird auch, dass die Emissionen des iranischen Schiffsverkehrs, dem eine zentrale Bedeutung für den Erdöltransport zukommt, deutlich sanken. „Wir haben anhand der Satellitenmessungen gesehen, dass die Wirtschaftssanktionen im Iran seit 2010 große Wirkung hatten“, sagt Jos Lelieveld. Seine Gruppe wird beobachten, wie sich die Emissionswerte im Iran zukünftig entwickeln, wenn die UN-Sanktionen aufgehoben werden.

Auch die Wirtschaftskrise in Griechenland lässt sich in den Stickoxidemissionen ablesen. So sanken die Emissionen seit 2008 um 40 Prozent. Im gleichen Zeitraum fiel das Bruttoinlandsprodukt um fünf Prozent pro Jahr.

Luftqualitäts- und Klimamodelle arbeiten mit pauschalen Emissionstrends

Dass die Stickstoffdioxidemission in vielen Ländern stark mit der Wirtschaftsleistung zusammenhängt, ist nicht sehr überraschend. Denn Stickoxide entstehen zwar auch auf natürliche Weise, werden aber in erster Linie bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas durch Industrie und Verkehr freigesetzt. Vor allem Stickstoffdioxid kann Erkrankungen der Atemwege hervorrufen. Generell tragen Stickoxide maßgeblich zur Bildung von Ozon und Feinstaub in der Troposphäre bei und spielen eine Rolle beim Klimawandel.

„Stickoxidemissionswerte fließen in globale Luftqualitäts- und Klimamodelle ein“, sagt Jos Lelieveld. Bisher werden Stickoxidwerte zumeist langfristig aus dem wirtschaftlichen Status eines Landes beziehungsweise seinen Kohlendioxidemissionen vorhergesagt. So geht beispielsweise ein Szenario (RCP8,5) im Bericht des Weltklimarates IPCC davon aus, dass die Stickoxidemissionen im Nahen Osten zwischen 2005 und 2030 um zwei Prozent pro Jahr ansteigen. Die aktuelle Studie der Forscher zeigt nun, dass solche pauschalen Prognosen nicht mehr zutreffen, wenn in Ländern Krisen ausbrechen oder es ihnen aufgrund verschärfter Gesetze gelingt die Luft rein zu halten.

Über die Satellitenmessung

Die Daten, die die Wissenschaftler auswerteten, stammen vom so genannten Ozon Monitoring Instrument, kurz OMI, das als holländisch-finnische Kooperation auf dem Satelliten Aura der US-amerikanischen Raumfahrtagentur NASA die Erde umkreist. Es erlaubt anhand des gemessenen Spektrums des von der Erde reflektierten Sonnenlichts die Bestimmung des Ozongehalts der Atmosphäre sowie weitere Spurengase wie Stickstoffdioxid (NO2) zu bestimmen. Die räumliche Auflösung, mit der OMI täglich die Erde vermisst, beträgt bis zu 13 mal 24 Kilometer.

Max-Planck-Gesellschaft, 21. August 2015

 

Originalpublikation:

Jos Lelieveld, Steffen Beirle, Christoph Hörmann, Georgiy Stenchikov, Thomas Wagner. Abrupt recent trend changes in atmospheric nitrogen dioxide over the Middle East. ScienceAdvances, 21. August 2015. DOI: 10.1126/sciadv.1500498

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